Donnerstag, 21. Mai 2015
Ich hänge an der Nadel...
Ähem, ja - ich gebe es zu: Ich stricke. Im Moment bin ich gerade wieder süchtig danach zu handarbeiten.



Alles fing mit meiner Oma an. Jahrgang ´22 und aus einfachen Verhältnissen vom Lande, hat sie sich noch das Leinen für ihre (und jetzt meine) Geschirrtücher selbst gewebt. Sie war Schneiderin, hat bis ins hohe Alter an ihrer noch über ein Fußpedal betriebenen Nähmaschine gesessen oder mit krausgezogener Nase, damit die Brille nicht rutschte, dem Maßband um den Hals und der Schneiderkreide in der Hand Stoffe zugeschnitten. Außerdem hatte mein „Ömchen“ (Achtung, Fachjargon!) immer etwas auf der Nadel. Jedes Jahr kam so eine stattliche Anzahl Strümpfe für den Kirchenbasar an Weihnachten zusammen. Denn beim besten Willen: So viele selbstgestrickte Socken konnte unsere kleine Familie gar nicht tragen wie sie produzierte.

Als kleines Mädchen wollte ich natürlich mittun. Oma brachte mir also das Stricken und Häkeln bei. Später wurde das im Handarbeitsunterricht in der Grundschule vertieft. Das gab es Anfang der Achtziger noch: Wir saßen im schönsten Klassenzimmer der Schule direkt unterm Dach, nicht in starrer Sitzordnung wie sonst – und während des Unterrichts durfte sogar geschwatzt werden. Hauptsache die Hände arbeiteten.

Zuhause beobachtete ich meine Großmutter weiter, wie sie Teppiche knüpfte, allerlei nähte und stickte.

Als ich nach dem Abi auszog, um zu studieren, hat sie mir etliche Kissenbezüge genäht und eine riesige Tagesdecke gehäkelt. Beides machte das Bett in meiner Studentenbude zum Kuschelsofa. Stunde um Stunde hat sie vor Semesterbeginn fleißig gewerkelt und viel dazu beigetragen, dass ich mich – flügge geworden und zum ersten Mal weg von Zuhause – in meinem Zimmer in einem urigen hessischen Fachwerkbauernhof etwas außerhalb von Marburg heimisch fühlen konnte.

Nicht nur diese, viele meiner schönsten Kindheitserinnerungen haben mit meiner handarbeitenden Oma zu tun. Alle paar Wochen zum Beispiel habe ich mit ihr ihre Schwägerin in Papenburg besucht. Freitags ging es los – mit der Bahn, die damals gefühlt noch regelmäßig, ohne Streiks und ohne allzu große Verspätungen fuhr. Sonntags holte uns mein Vater mit dem Auto ab.



Tante Anni war Witwe wie meine "Nunu" und lebte in einem von Wiesen und Weiden umgebenen Häuschen (anfangs nur mit Plumpsklo – ein Abenteuer für ein kleines Mädchen! - und Hühnerstall im Garten) knapp vor der Grenze zu Ostfriesland. Auf dem Sofa in der Wohnküche am noch mit Torf beheizten Ofen saßen wir drei dort zusammen, die Frauen unterhielten sich und strickten. Dazu gab es Schwarzbrot mit Kirschmarmelade, Dickmilch – und Ostfriesentee.

Der wurde – frisch aufgebrüht – über ein Sieb in kleine Tässchen gegossen, auf herrlich knackenden Kandiszucker. Zur Krönung durfte ich die Sahne eingießen – wenn man das langsam genug macht entstehen Teeblumen, ein faszinierendes kleines Schauspiel. Mir hat selten wieder etwas so gut geschmeckt wie der Tee zusammen mit selbst gebackenem Topfkuchen (besser bekannt als Gugelhupf) oder Zwieback, der sogar eingestippt werden durfte.

Aber ich schweife ab. Jedenfalls ist das Beisammensein handarbeitender Frauen für mich der Ausdruck von friedlicher Gemütlichkeit und kindlichen Geborgenheitsgefühlen. Vielleicht stricke ich deshalb heute wieder: Ich kuschele mich dazu gern aufs Sofa, stricke, denke nach und entspanne. Dazu Tee, im Hintergrund manchmal noch Musik oder ein schöner Film – der perfekte Winternachmittag!



Handarbeiten ist nämlich für mich eigentlich eine Angelegenheit für die dunkle Jahreszeit. Jetzt ist zwar schon Frühling, die Sonne scheint, alles lockt wieder nach draußen – doch dieses Jahr fällt es mir schwer, die Nadeln links liegen zu lassen. Das liegt daran, dass mein Leben gerade Kopf steht. Und über das fast schon meditative "Zwei rechts, zwei links" komme ich ein wenig zur Ruhe.

Allerdings – ich gestehe nochmals: Ich habe jahrelang keine Nadel angefasst. Stricken galt als uncool - und wer trug in der Schule schon selbst gestrickte Pullis? Kam spätestens ab der siebten Klasse nicht mehr in Frage! Ich habe das Stricken erst während des Studiums wieder entdeckt. Nein, ich war keine von den diesen frauenbewegten Öko-Studentinnen, die nadelnklappernd in den Seminaren saßen und dabei herumphilosophierten.

Als ich wieder anfing zu stricken, war die Handarbeit längst wieder allgemein salonfähig. Ich habe mit drei der coolsten Studentinnen meines Semesters, die definitiv zum It-Circle gehörten, bei "Suppe für Glück und langes Leben" gestrickt, den Studienalltag mit allen Höhen und Tiefen aufbereitet, Zukunftsvisionen für die Zeit nach der Uni entwickelt und: Männer waren auch ein Thema. :-)

Das Schöne am Stricken ist nicht nur, dass es allein oder in Gesellschaft für Gemütlichkeitsgefühle sorgt. Am Ende habe ich etwas in Händen, das ich selbst geschaffen habe. Das kann gerade wenn die Zeiten chaotisch sind, eine „therapeutische“ Erfahrung sein: Wenn nichts anderes geht, kann man mit einfachen Mitteln doch etwas „hinkriegen“. Fünf Nadeln und zwei, drei Knäuel Wolle reichen.

Das ist nicht nur gut für die Seele, sondern auch für den Körper: Kurz nach meinem Studienabschluss hatte ich einen Unfall. Die Folge: eine Handverletzung mit Komplikationen. Ich musste langwierig und mühsam wieder üben, Hand und Finger zu bewegen. Zur Schulung der Feinmotorik griff ich schließlich auch zum Strickzeug.

Mein erstes Projekt damals: Babysöckchen für die erste, noch ungeborene Tochter meiner Cousine. An Strümpfe hatte ich mich bis dahin gar nicht herangetraut. Es ging die Mär, es sei furchtbar schwierig, die Ferse zu stricken. Aber so kompliziert ist es gar nicht, vor allem nicht die Bumerang- oder Jojo-Ferse. Die kann ich inzwischen im Schlaf.



Babysocken zu stricken hat sich nämlich irgendwie zur Tradition entwickelt: Wenn liebe Menschen – Verwandte, Freunde, nette Kollegen – Nachwuchs bekommen, setze ich mich seitdem hin und stricke. Etwa 20 Paar Söckchen sind es in den letzten acht Jahren geworden.

Jetzt gibt es allerdings eine kleine Babypause, aber zu meditativen Zwecken brauche ich das beruhigende Nadelklappern gerade. Also stricke ich momentan abwechslungshalber mal für mich: Socken aus Merino-, gewöhnlicher Sockenwolle oder solcher mit Kashmiranteil. Trägt sich herrlich, sitzt wie angegossen und ist irgendwie besonders warm...

Irgendwann hat sich mein Leben hoffentlich wieder entwirrt wie die Wolle, die sich manchmal verknäuelt und die man geduldig wieder auseinanderwickeln muss. Dann mache ich den Sommer über einen Strickentzug. Ehrlich, ich schaffe das. Ich hab´ das im Griff...

P.S.: Bei Babyalarm mache ich selbstverständlich jederzeit eine Ausnahme...

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Hübsche Socken!

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:-)
Danke!

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